Die Postproduktionsbranche in München & Umgebung
Welche Studios, Schulen und andere wichtige Dinge finden sich in der Postproduktionsbranche der bayerischen Hauptstadt und Umgebung? Und wie ist München zu dem wichtigen deutschen VFX-Standort geworden, der er heute ist? Hier geben wir dazu eine Übersicht.
Schaut man sich – bezogen auf die Medienindustrie – die vier großen Städte Deutschlands im Norden, Osten, Westen und Süden an, entsteht der Eindruck, jede hat sich auf einen bestimmten Bereich “gesetzt”. Die Kölner sind im Fernsehbereich wesentlich aktiver als andere Städte: dort sitzen unter anderem die Mediengruppe RTL oder die vom ehemaligen Fernsehmoderator Stefan Raab gegründete Produktionsfirma Brainpool. Auch die in Köln gegründeten Stargate Studios tragen auf internationaler Ebene dazu bei, dass TV-Serien und -Filme kosteneffizient und zeitsparend mit dem Virtual-Backlot-Verfahren produziert werden können, da der Dreh wetterfest im großen Tageslichtstudio stattfinden kann und das gesamte Team inklusive Equipment nicht mehr zu weit entfernten Drehlocations gekarrt werden muss (s. DP 02:16). Hamburg zeigt dagegen überdurchschnittlich viel Aktivität im Werbebereich: An diesem Standort finden sich zum Beispiel die durch ihre originellen Werbekampagnen weltweit bekannt gewordenen Agenturen Jung von Matt (s. DP 05:16, “Mein Porzellan-Schatz!”), Kolle Rebbe oder achtung!. Die Medienlandschaft in Berlin ist dagegen so bunt und kreativ wie das Image der Stadt: Mit Rise | Visual Effects Studios hat ein international bekanntes VFX- und Animationsstudio seinen Hauptsitz direkt an der Spree, das Team lieferte bereits die Effekte für große Hollywood-Blockbuster wie “Captain America” oder “The Avengers” sowie für internationale TV-Serien wie „Borgia“ (s. DP 07:14). Aktuell hat das Studio mit „Richard the Stork“ seinen ersten europäisch-koproduzierten Feature-Animationsfilm fertiggestellt. Neben Rise gibt es in der deutschen Hauptstadt zahlreiche kleinere und mittelgroße Postproduktions- und Animations-Firmen wie beispielsweise Celluloid, Lumatic oder MovieBrats.
Ein Herz für Filme
Münchens Herz schlägt dagegen ganz und gar für den Film. VFX- und Animation-Artists, die gerne an Feature-Filmen arbeiten, stehen in Bayerns Hauptstadt deutschlandweit die meisten Kontakte und Joboptionen zur Verfügung: Scanline, Trixter oder Arri sind große, internationale Postproduktions- und Animation-Vendors, die als feste Größen in der Branche etabliert sind und allesamt in München gegründet wurden. Die Bavaria Studios, in denen schon Klassiker wie “Das Boot” oder “Die unendliche Geschichte” gedreht wurden, bieten eine Produktionsumgebung mit Tradition und Erfahrung. Auch der nicht übermäßig filmaffine Bürger spürt das Filmfieber in der Stadt an der Isar schnell: Denn hier gibt es eine große Kinodichte inklusive kleiner, liebevoll eingerichteter Lichtspielhäuser, die teilweise seit mehr als hundert Jahren existieren. In diesen werden namhafte Filmfestivals wie das Filmfest München, Fantasy Filmfest oder DOK.fest rund ums Jahr veranstaltet, daneben ist bei den kleineren Events wie dem “Bunter Hund”-Festival oder dem “Queer Film Festival” für fast jeden Geschmack etwas dabei. Und egal, wann man in München ins Kino geht: Fast jede Vorstellung ist in dieser filmaffinen Stadt voll. Filmtraditionen sind Münchens Kinobetreibern ebenfalls heilig und werden abseits vom Umsatzterror geflissentlich bewahrt: So zeigt zum Beispiel Museum Lichtspiele seit dem 24. Juni 1977 ununterbrochen den Kultmusicalfilm “The Rocky Horror Picture Show” in der Spätvorstellung. Ein Film fast 40 Jahre im Programm – das ist wirklich etwas Besonderes.
Filmschulen in Bayern
Vor den Erfolg haben die Götter aber den Schweiß gesetzt, deshalb muss vor dem Einstieg in die anspruchsvolle Technikwelt der Postproduktions- und Aninmationsbranche ordentlich viel Stoff gelernt werden. Dies erledigen viele der angehenden Artists im Eigenstudium und Learning-by-Doing, eine fundierte Ausbildung kann dennoch nie schaden (umfangreiche Infos zu einem Karriereeinstieg in die VFX- und Animationsbranche abseits des regulären Studienwegs erhalten Sie in unserem Karrierefokus in der DP 03:17).
HFF München
Die Vorzeigefilmhochschule der Bayern mit vielen erfolgreichen Absolventen und einer seit 1966 bewährten Tradition ist die Hochschule für Film und Fernsehen in München. Berühmte ehemalige Studenten sind unter anderem die Filmproduzenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann sowie die Regisseure Wim Wenders, Doris Dörrie, Uli Edel, Roland Emmerich, Katja von Garnier und Sönke Wortmann. Die HFF ist vor allem für exzellentes Storytelling und gelungene Dokumentarfilme in der Filmszene bekannt, VFX und Animation gehörten dabei bis vor fünf Jahren kaum bis gar nicht zum Lehrplan. Hinsichtlich dessen hat sich in jüngster Zeit an der Hochschule viel getan: Mit “Pieps und der Papierflieger” ist unter der Regie von Christoph Englert mit der Unterstützung von Trixter und VFX-Supervisor Jan Stoltz nicht nur der erste 3D-Animationsfilm entstanden, 2015 wurde auch ein VFX-Lehrstuhl neu integriert. Im Lehrbereich „Digitale Postproduktion“ unterrichtete Christoffer Kempel in den letzten Jahren bereits visuelle Effekte als Bestandteil der Ausbildung – nun ist mit Trixter-Gründer Michael Coldewey auch ein Professor vor Ort, der aus der Industrie kommt und an den sich die Studenten offiziell wenden können. So sollen visuelle Effekte bei HFF-Produktionen zukünftig verstärkt, aber immer storyunterstützend, eingesetzt werden, wie es beispielsweise bei dem Kurzfilm “Willa” im letzten Jahr geschehen ist. Für die Verfilmung der Kurzgeschichte von Stephen King kreierte das Team um Regisseurin Helena Hufnagel eine aufwendige Freeze-Sequenz in einem Zugabteil (s. DP 02:16).
TH Nürnberg
Eine weitere bayerische Ausbildungsstätte für den Postproduktionsbereich und Animation liegt zwei Stunden Bahnfahrt von München entfernt im fränkischen Nürnberg: Die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm. Jürgen Schopper, der als Professor den Studienschwerpunkt „Film & Animation“ im Bereich „Design“ betreut, arbeitet schon in den 90ern als Computer Animation Artist an Roland Emmerichs „Independence Day“ und ist heute als Creative Director VFX bei Arri beschäftigt, wo er Projekte wie „Saphirblau“ oder „Deckname Luna“ verantwortete.
Mehr Schulen
Weitere Studienoptionen in München für einen gut präparierten Einstieg in die Postproduktions- und Animationsbranche sind die Bayerische Akademie für Fernsehen, das SAE Institute, die Hochschule Macromedia oder die Mediadesign Hochschule, an der unser CONFERENCE-Organisator Thomas Gronert Professor ist.
Animationsstudios & Postproduktionsfirmen in München
Arri
Mit dem Gründungsjahr 1917 gehört Arri zu den wahren Urgesteinen in der Branche. Das Unternehmen hat sein Headquarter nach wie vor in München und ist in Deutschland inzwischen mit Niederlassungen in Berlin, Köln, Ludwigsburg, Frankfurt und Halle vertreten ist. Anfang März 2016 hat Arri im ehemaligen Tonstudiokomplex des Bavaria-Geländes einen neuen Standort eröffnet, das Arri@BavariaFilm. In dieser Location wird der Schwerpunkt vor allem auf Tonmischung und Grading gelegt: Studio A ermöglicht Dolby-Atmos-Mischung und Studio C beheimatet eine neue Grading-Suite, in der ein Dolby-Vision-Laserprojektor eingebaut ist, der 4K, HFR-Funktionalität und HDR-Wiedergabe vereint. Mit seinen verschiedenen Departments deckt Arri Media Services alle Bereiche der Film- und Tonbearbeitung ab, bekannt wurde das Unternehmen vor allem durch die Arri-Kameras. Die Arriflex 35, die 1937 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war die erste industriell gefertigte Spiegelreflexkamera der Welt; seitdem wurden die kontinuierlichen Entwicklungsinnovationen über die Jahre hinweg mit rund 20 Technik-Oscars belohnt (s. DP 06:13, 01:15).
CinePostproduction
Ebenfalls 100 Jahre auf dem Branchenbuckel hat die CinePostproduction. Da das Kopierwerk aufgrund der kompletten Digitalisierung der Branche geschlossen werden musste, meldete das Postproduktionsunternehmen vor drei Jahren Insolvenz an. Nachdem Anfang 2015 die in Unterföhring bei München ansässige MTI Teleport München GmbH als Käufer gefunden wurde, nahm die Cinepost wieder neuen Schwung auf: Der Firmenname wurde als Marke behalten, das Unternehmen hat sich aber komplett neu organisiert und agiert nicht als Tochterfirma, sondern als eigenständige Firma mit Standorten in München und Berlin. Neben der Postproduktion bei Feature Filmen und TV-Produktionen gehört die Digitalisierung und Restaurierung von Filmmaterial zu den Spezialitäten des Unternehmens: Bernd Eichingers “Die unendliche Geschichte” von 1984 oder auch der UFA-Filmklassiker “Die Glückskinder” aus dem Jahr 1936 wurden von der CinePost mit frischem Glanz in Digitalform versehen (s. DP 05:13, 01:15).
Scanline
Nicht ganz so lange wie Arri und die CinePostproduction, aber immerhin schon ein Vierteljahrhundert schwimmt Scanline auf der “CG-Welle”. International bekannt ist die VFX-Firma vor allem für seine Wassersimulationen, die Scanline mit der selbstentwickelten Software Flowline umsetzt. Die Technologie wurde 2008 mit einem Technik-Oscar ausgezeichnet, sie kam beispielsweise für die Wassermassen bei Feature Filmen wie “Hereafter”, “2012”, “Poseidon” oder “300” zum Einsatz. Was viele nicht direkt auf dem Schirm haben: Flowline kann auch Feuer und Explosionen, Beispiele hierfür sind der Traincrash aus “Super 8” oder aufwendige Destcruction Shots aus “Ironman 3” oder “Man of Steel”. Da Scanline inzwischen an vielen Hollywood-Blockbustern beteiligt ist, expandierte die Firma nach Vancouver und Los Angeles, um die Nähe zu den USA und den dort angesiedelten Produktionsfirmen zu schaffen (s. DP 06:13, 01:15).
Trixter
Der “Youngster” im großen Münchner Postproduktions- und Animations-4er-Bund ist Trixter. Das Unternehmen wurde 1998 von Simone Kraus und Michael Coldewey ursprünglich als reines Animationsstudio für klassischen Zeichentrick und Computeranimation gegründet. Schnell entwickelte sich das Portfolio aber hin zu VFX für Commercials und Feature Filme – der Durchbruch in diesem Bereich gelang 2004 mit dem Sat.1-Film “Das Gespenst von Canterville”, bei dem Trixter erstmals einen animierten Character in reales Footage integrierte. Als das Team dann 2005 rund 25 Minuten Filmmaterial mit der CG-Version von Michael „Bully“ Herbig als Schlossgespenst “Hui Bui” kreierte, war Trixter endgültig als VFX-Studio in der Branche etabliert. Das Studio blieb dem Animationsfilm dennoch bis heute treu, zuletzt realisierte Trixter für Komiker Otto “Der 7bte Zwerg“, was das bisher größte Projekt für das Studio war. Trixter-VFX-Supervisor Dominik Zimmerle sitzt in diesem Jahr übrigens in der animago-Jury.
Neu in München: Rise
In diesem Jahr kam zu den vier großen Münchner VFX-Vendors noch ein großer VFX-Name aus Berlin mit einem Standort in die bayerische Hauptstadt: Rise | Visual Effects Studios. Dominik Trimborn, der ehemalige Leiter der VFX-Abteilung bei Arri, ist Geschäftsführer und Supervisor der neuen Location. Das Team wird sich auf VFX-Projekte aus Film und TV konzentrieren, starten wird das Rise-Team mit der Bearbeitung der Serie „Berlin Babylon“ von Tom Tykwer sowie der deutschen Filmproduktion „Jim Knopf“.
Weitere Studios in München
Weitere weltweit bekannte Studio-Beispiele, die ihre Wurzeln in München haben, sind Realtime Technology AG (trägt heute nach der Übernahme durch das französische Softwareunternehmen Dassault Systemes den Namen 3DExite), ein Studio das Highend 3D-Visualisierungen in Echtzeit realisiert, sowie Velvet Mediendesign, die direkt neben Trixter im München-Viertel Maxvorstadt sitzen und sich auf Highend-Commercials für den nationalen und internationalen Markt spezialisiert haben. Für den aufwendigen deutschen Fantasy-Film “Mara und der Feuerbringer” wurde Big Hug FX ins Leben gerufen. Zu aktuellen Feature-Film-Projekten des Teams gehören “Mrs. Bodyguard” oder “Creed” mit Sylvester Stallone.
Bullys wichtigste Rolle
Der zuvor schon kurz erwähnte Michael Herbig, besser bekannt als „Bully, der in der letzten Zeit in erster Linie als Thomas-Gottschalk-Nachfolger als Werbegesicht für Gummibären in Erscheinung tritt, hatte in den 2000ern Jahren für die VFX- und Animationsbranche in München eine wichtige Funktion. Nach seinem riesigen Überraschungserfolg “Schuh des Manitu”, der aus einer Sketchreihe der Comedy-Show „Bullyparade“ hervorging und fast 12 Millionen Zuschauer ins Kino brachte sowie 65 Millionen Euro Umsatz machte, wagte sich Bully mit dem finanziellen Polster im Rücken mit “(T)raumschiff Suprise” an einen – zu diesen Zeiten für deutsche Verhältnisse – sehr VFX-lastigen Feature Film. Auch dieses Werk lockte die Kinobesucher: Mit insgesamt rund 9 Millionen Zuschauern wurde es zum dritterfolgreichsten deutschen Film seit Beginn der Zuschauerzahlenerfassung im Jahr 1980.
Beflügelt von diesen zwei Publikumserfolgen schlüpfte Bully 2006 in eine der ersten 3D-Full-CG-Figuren in einem deutschen Kinofilm und lieh dem Schlossgespenst “Hui Buh” seine Gesichtszüge und seine Stimme. Ein weitere „Bullyparaden“-Gagserie bot kurz darauf die Vorlage für den ersten 3D-Animationsfilm des Regisseurs: mit einem Produktionsbudget von 12 Millionen und der Arbeit von rund 50 Scaline-Animatoren konnte “Lissi und der wilde Kaiser” 2007 im Kino starten. Auch wenn viele Kritiker anmerkten, dass der Animationsfilm nicht das Niveau der internationalen Konkurrenz erreichte, gaben Bullys Filme wichtige Impulse zum Erblühen der VFX- und Animationsbranche in München und der deutschen Filmproduktionsindustrie im Allgemeinen.
2007 wurde Bully für diesen Verdienst mit dem animago AWARD „Ehrenpreis“ ausgezeichnet. Im damaligen animago-Veranstaltungsort Konzerthaus Karlsruhe dankte der Filmemacher per Videobotschaft, die Trophäe wurde treuhänderisch an Scanline-Geschäftsführer Thomas Zauner überreicht. In diesem Jahr war Bully nach seiner 2013 gefloppten Schutzengelkomödie „Buddy“ wieder als Regisseur aktiv und zelebriert mit „Bullyparade: Der Film“ das 20. Jubiläum seiner ergiebigsten Inspirationsquelle – Kinostart ist Sommer 2017.
Und somit können wir stolz feststellen: Der animago ist sogar älter als die kultige „Bullyparade“ – wir veranstalten in diesem Jahr bereits die 21. Ausgabe!
(Mirja Fürst)